„Wenn der Wohnraum zur Müllhalde wird“

19.02.2020

„Wenn der Wohnraum zur Müllhalde wird“

„Der Beklagte lebt seit 1959 in dieser Wohnhausanlage und ist Mieter der Wohnung top Nr 9. Er leidet seit mehreren Jahren an einer psychischen Erkrankung in Form eines Messie-Syndroms. Dementsprechend sammelt er in der Wohnung vor allem Bücher, Zeitschriften, Kleidung und technische Geräte. Die Wohnung ist stark verschmutzt, weshalb ein übler Geruch vorherrscht. Durch das Ausmaß der Ablagerungen und der Verschmutzung besteht die Gefahr der Ansiedelung von Ungeziefer. Die Lüftungsschlitze der Elektrogeräte waren im April 2012 mit Büchern, Prospekten und Wäsche abgedeckt, weshalb eine erhöhte Brandgefahr bestand. Die eminente Brandgefahr ist vor allem durch die Ansammlung von Kleidung und Büchern nach wie vor gegeben. Die mit Zeitungen, Gerümpel und Kartonagen vollgefüllte Wohnung gefährdet auch die Substanz des Hauses. Der Beklagte besucht regelmäßig eine Messie-Selbsthilfegruppe. (…)
Der Beklagte mache vom Mietgegenstand einen erheblich nachteiligen Gebrauch (…).

Durch sein (…) Verhalten verleide er den Mitbewohnern das Zusammenleben.“ (aus dem Entscheidungstext des OGH vom 25.8.2014)

Der Verein Wohnen Steyr ist im Arbeitsfeld der Wohnungslosenhilfe tätig. Der Fachbereich Wohnungssicherung/Delogierungsprävention ist einer von insgesamt fünf Abteilungen des Vereins in der Blumauergasse 29.

Wohnungslosigkeit stellt, neben einem hohen finanziellen Aufwand für den Sozialstaat, eine  hohe psychische Belastung für betroffene Menschen dar, daher ist das Verhindern von Obdachlosigkeit das oberste Ziel der genannten Fachabteilung.

Es gibt unterschiedliche Motive und Beweggründe des Wohnraumverlustes. Eine unbezahlte Miete ist ein möglicher Grund für ein gerichtliches Räumungsverfahren, eine verwahrloste Wohnung ein weiterer Grund.
Bekannt unter dem Sammelbegriff „Messie“ oder „Messiewohnungen“ drohen für die Betroffenen der Verlust ihres Wohnraumes und damit die Obdachlosigkeit.

Die Thematik der Vermüllung, oder des Sammeln von Gegenständen, zieht sich durch alle sozialen Schichten.

Ein Messie ist jemand der Sachen aktiv oder passiv ansammelt. Aktiv heißt, es werden Dinge gekauft, gesammelt und nach Hause getragen. Von einem passiven Sammeln spricht man, wenn Dinge des täglichen Lebensvollzugs (zB Verpackungen von Lebensmitteln) gesammelt bzw. nicht entsorgt bzw. weggebracht werden.

Sammeln ist per se kein Problem, da jeder von uns zB Lebensmittel lagert und oft mehr Schuhe, Kleidungen und Gegenstände zu Hause hat, als benötigt.

Ein pathologischer Zustand wird dann erreicht wenn die Benützung des Wohnraumes durch die Menge der gehorteten Dinge verhindert wird, wenn Dimensionen erreicht werden, die ein Leben in der Wohnung nicht mehr ermöglicht. Betroffene „stapeln sich aus der eigenen Wohnung raus“. Raum und Platz für das Zubereiten einer Mahlzeit, ein Ess- oder Schlafplatz verschwinden, es bleiben nur noch schmale Gänge übrig die ein Fortbewegen in der Wohnung ermöglichen und selbst diese verschwinden, wenn Hilfe für die Betroffenen ausbleibt.

Bei kleineren Wohnungen wird dies zu einem früheren Zeitpunkt ein Problem darstellen als bei einem großen Haus. Eine Landwirtschaft mit Haupt- und Nebengebäuden benötigt einen viel längeren Zeitraum um vermüllt bzw. mit Sammelgegenständen befüllt zu werden als eine kleine Wohnung. 

Ein wesentlicher Unterschied in der Lebens- bzw. Wohnqualität als auch in der KIientenarbeit ist der Unterschied des „Naß“ oder „Trockensammelns“. Von einer „nassen“ Form spricht man, wenn Nahrung, Exkremente ebenso in den angesammelten Dingen zu finden sind, wie zB Verpackungen und Zeitungen. Bei der trockenen Form werden ausschließlich trockene Gegenstände, wie zB Bücher, Zeitungen, Plastic,…  gesammelt.

Oft liegt diesem Verhalten eine psychologische Ursache zu Grunde. Zum Beispiel frühkindliche negative Erlebnisse, fehlende Zuwendung, Beziehungsprobleme, posttraumatische Belastungsstörungen (Trennung, Trauer, Missbrauch, ec….).

Betroffene können/müssen oft erst dann Hilfe annehmen, wenn der Leidensdruck (zB kein Schlafplatz mehr) oder Druck von außen (zB feuerpolizeiliche Sperre oder

gerichtlich eingeleitete Räumungsklage) unerträglich wird.

Die Erfahrung aus 17 Jahren Praxis hat gezeigt, dass noch kein einziger Betroffener eine Krankheitseinsicht gezeigt hat. Eine Möglichkeit der Symptomlinderung können Gesprächstherapien und medikamentöse Behandlungen bringen.

Wenn Betroffene den großen Berg nicht mehr alleine bewältigen können, verpuffen auch jegliche Motivationsversuche sich selbständig und alleine um die Ansammlungen zu kümmern. Sie scheitern daran den Müll und die nicht verwendeten oder gebrauchten Gegenstände zu entsorgen. Daher braucht es eine aktive Mithilfe beim Entsorgen und Ausräumen der angesammelten Gegenstände im Wohnraum.

Das Messi-Syndrom ist nach DSM 5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) als Krankheit anerkannt. Auslöser für dieses Krankheitsbild sind noch kaum erforscht.

Auch wenn eine Sperre der Wohnung/des Hauses, zB aus feuerpolizeilichen Gründen, notwendig ist, muss eine Lösung für den Menschen gefunden werden. Welche Lösung ist möglich, damit der Mensch in seiner gewünschten Umgebung bleiben kann und ihm die Räumung des Mülls nicht die letzte Würde raubt?

Jede Lösung braucht als Basis eine Beziehung zu den Betroffenen. Nur so kann die Grenzüberschreitung (in einen Wohnraum einzudringen und Veränderungen in der genannten Form durchzuführen verletzt immer die Intimsphäre!) akzeptiert werden.


Im Zentrum jeder Entscheidung und jedes Hilfsangebots stehen der Mensch und seine Würde!

Ohne praktische Unterstützung, und damit ohne Beziehungen, sind keine Lösungen möglich. In der Beziehungsarbeit ist ein würdevoller Umgang mit den Betroffenen die Basis unserer Arbeit. Beteiligte müssen sich bewusst sein, dass ein agieren in diesem Handlungsfeld für die KlientInnen meistens als grenzüberschreitend empfunden wir.

Die menschliche Kompetenz stellt somit die Grundlage unserer Interventionen dar.

Im besten Fall ist ein Sortieren und Entsorgen der gesammelten Gegenstände gemeinsam mit der betroffenen Person möglich und die Wohnung bzw. das Haus kann als Wohnraum gesichert werden.

Eine Nachbetreuung in Form einer mobilen Wohnbetreuung kann vom Verein Wohnen Steyr ebenso initiiert werden. Der Wunsch der KlientInnen zur Zusammenarbeit ist Voraussetzung für eine weitere Unterstützung.

Text: Silvia Fürweger BA

Bildquelle: Müllwohnung1.jpg von Userm1970. Lizenz: CC BY-SA 3,0


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